Naturgartenbad

Baden, Licht, Luft und Sonne im Naturgarten 100 Jahre „Natsger“

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts griff die Industrialisierung im wilhelminischen Kaiserreich immer weiter um sich. Damit einher gingen ein spürbarer wirtschaftlicher Aufschwung und ein sprunghaftes Wachstum der Städte. Aber zugleich mehrte sich die Kritik an den schwierigen sozialen Verhältnissen, den teils katastrophalen urbanen Lebensbedingungen und der Zerstörung der Natur durch die immer großräumiger um sich greifenden Industrieanlagen. Von medizinischer Seite wurden Stimmen laut, welche diese Zustände, vor allem die dort herrschende schlechte Luft, für eine ganze Reihe von Zivilisationskrankheiten verantwortlich machten.

Eine Antwort auf diese Entwicklung wollte die so genannte Lebensreformbewegung geben. Zivilisatorische „Defekte“ sollten durch Gymnastik, Bäder und Bewegung an der frischen Luft sowie vegetarische Kost – kurzum: ein naturgemäßes Leben – ausgeglichen werden. Ihren bekanntesten Ausdruck fand diese Bewegung in der utopischen Kolonie auf dem Monte Verità im schweizerischen Tessin. In Reformkleidern und mit langen Haaren verrichteten dort (Lebens-)Künstler, Anthroposophinnen und Weltverbesserer harte Garten und Feldarbeit, sie errichten schlichte Hütten, entspannen sich mit Eurythmie und Nacktbaden, lebten nahe den Elementen Licht, Luft Wasser, Sonne und sie ernährten sich unter Vermeidung aller tierischen Nahrung nur von Pflanzen, Gemüsen und Früchten.

In Deutschland war es der Berliner Arzt A. Ziegelroth, der die gesundheitsfördernde Wirkung von Luft- und Sonnenbädern in seinen Schriften propagierte. Im Nacktbaden zum Beispiel sah er nicht nur ein geeignetes Mittel der Abhärtung, er vermutete in „der Erhöhung der zellularen Oxydation, der intraorganen Verbrennung eine Erhöhung der ganzen Lebensenergie, die bei der Ausheilung chronischer Leiden von fundamentalster Bedeutung“1 seien.

In Nürnberg standen der Bevölkerung zu dieser Zeit eine ganze Reihe von Flussbädern zur Verfügung. Dennoch häuften sich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Beschwerden über das wilde Baden in der Pegnitz, gerade im Bereich zwischen Erlenstegen und Oberbürg. Vor allem die Mitglieder von Wandervereinen fühlten sich von den teilweise nackt Badenden in ihrer sonntäglichen Ausflugsidylle gestört: „Die Schamlosigkeit geht soweit, dass sich gewisse Apostel der „Nacktkultur“ gerade an die besuchtesten Stellen legen; bei einer Eisenbahnfahrt durch das Pegnitztal kann man sehen, wie sich Männlein und Weiblein in Adamskostümen in nächster Nähe der Eisenbahndämme tummeln.“2

Bereits seit 1909 hatte der „Verein zur Verschönerung Erlenstegens“ immer wieder die Errichtung einer öffentlichen Badeanstalt angeregt, konnte das Projekt wegen hoher städtischer Auflagen und einer geplanten Regulierung der Pegnitz jedoch jahrelang nicht umsetzen. 1920 war es dann soweit: Der Kneipp-Verein, der Naturheilverein, der Versicherungsverein a.G. sowie der bereits bestehende Verein zur Förderung des Nürnberger Naturgartens schlossen sich zusammen zur „Gesellschaft Naturgarten Erlenstegen – Nürnberger Luft- und Sonnenbad und Erholungsheim GmbH“. Diese nahm die Planungen einer Erholungsstätte für die Nürnberger Bevölkerung auf. Im Vorstand der Gesellschaft, die unter „Ausschaltung jeden kapitalistischen Zweckes“3 der Erholung der Nürnberger Bevölkerung dienen wollte, engagierten sich Bankdirektoren, Ärzte und Rechtsanwälte.

Noch im Jahr ihrer Gründung legte sie die Pläne für eine Badeanstalt mit nach Geschlechtern getrennten Liegewiesen und Kabinen für das Licht- und Luftbad sowie einem Schwimmbad vor. Ein geeignetes Grundstück fand sich mit dem knapp fünf Hektar großen Meisenbach´schen Anwesen an der Günthersbühler Straße. Hier hatte sich eines der ältesten urkundlich erwähnten Anwesen Erlenstegens befunden, auf dessen Grund dann Anfang des 16. Jahrhunderts ein Herrensitz errichtet wurde, der später den Namen „Wölckernschlösschen“ erhielt. Hier lagen auch die beiden Erlenstegener Dorfweiher; an der Stelle des größeren der beiden schwimmen heute die Badenden im großen Becken des Naturgartenbades. Die nach der Errichtung des Bades nicht benötigten Gebäude des einstigen Herrensitzes wurden weiterverpachtet und die dazugehörige Mühle schließlich im Jahr 1930 abgerissen.

Neben einem städtischen Darlehen in Höhe von 500.000 Mark sollte die Finanzierung über Inhaberschuldverschreibungen gesichert werden. In ihrem Aufruf zur Zeichnung der Papiere pries die Gesellschaft den geplanten Naturgarten als eine „Pflanzstätte der Volkskraft“ an und bot als Gegenleistung Freikarten zum Besuch des Bades an.

Noch zur Sommersaison 1921 wurde der Badebetrieb aufgenommen. Und so konnten sich die Anhänger der Freikörperkultur ihrem Badevergnügen und ihren gesundheitsfördernden Übungen hingeben, während die Schaulustigen am Bretterzaun hingen. Seine idyllische Lage mit den weitläufigen Föhrenwäldern und die gute Erreichbarkeit dank der Anbindung an die Straßenbahn machten das Naturbad Erlenstegen zu einem Publikumsmagneten, der bereits in seinen ersten Betriebsjahren rund 40.000 Gäste verzeichnete. Die Becken hatten einen Sandboden und waren verschalt, beziehungsweise mit Brettern vertäfelt und ihre Ausmaße überstiegen die heutigen deutlich.

Im Jahr 1938 kaufte die Stadt Nürnberg die Anlage für 98.000 Reichsmark und verpachtete sie an den Kneipp-Verein e.V. In den Kriegsjahren herrschte zwar ein reger Badebetrieb, dennoch war der Kneipp-Verein auf zinslose Vorschüsse der städtischen Kämmerei angewiesen, da er keine Einnahmen aus Brezen- und Eisverkauf erzielen konnte. In der Nacht vom 28. auf den 29. Juli 1941 beschädigte ein Hochwasser die Anlage schwer: Erdreich wurde abgetragen, Dämme weggespült und Hecken zerstört. Eine schnelle und vollständige Wiederinstandsetzung war wegen der Kriegssituation nicht möglich, was dazu führte, dass die Liegewiesen immer stärker versumpften und an heißen Tagen ein lästiger Geruch auftrat. Für das Jahr 1943 hingegen verzeichnete der Kneippverein schon wieder eine Steigerung der Besucherzahl um fast 11.000.

Die Nationalsozialisten stellten selbst die öffentlichen Badeeinrichtungen in den Dienst ihrer Ideologie. Wie alle anderen Gesundheitsvereine wurde der Kneipp-Verein auf Anordnung der Reichskanzlei im Jahr 1943 aufgelöst und ging im Deutschen Volksgesundheitsbund auf. Und so erhielt auch der Naturgarten Erlenstegen einen neuen Namen: Der „Gesundheitspark der Stadt der Reichsparteitage“ war Nichtariern und Angehörigen aller „Feindstaaten“ verschlossen, das Nacktbaden wurde verboten. So war in der Satzung zu lesen: „Aus dem Glauben an die Ewigkeit des deutschen Volkes und an die Unbesiegbarkeit des nationalsozialistischen Großdeutschen Reiches erwächst einem jeden Volksgenossen die Verpflichtung zur Gesunderhaltung und Reinhaltung der Rasse.“ Begleitet wurde diese Forderung mit Vorträgen durch Fachkräfte und so genannte Lebensordnungskurse.

Ein Jahr später führten erhebliche Fliegerschäden und die Nutzung der Schwimmbecken als Löschwasserbecken zur Sperrung des Naturgartens. Nach Kriegsende wurde die stark beschädigte Anlage von der Militärregierung beschlagnahmt. Immer wieder kam es dennoch zu Plünderungen, welche die wenigen noch vorhandenen Einrichtungen völlig zu zerstören drohten. Aber auch Forderungen nach einer Wiederinbetriebnahme des Naturgartens wurden laut, da sich schnell wieder die Klagen über wildes Baden entlang der Pegnitz häuften.

Bereits 1949 wurde eine behelfsmäßige Wiedereröffnung in Aussicht gestellt und ab Mai 1951 stand den Nürnbergerinnen und Nürnbergern zum Eintrittspreis von 30 Pfennigen ein, wenn auch immer noch provisorisches, Badevergnügen offen. Dies war umso wichtiger, als bald danach die Flussbäder Laufamholzhammer und Mögeldorf wegen der starken Verschmutzung der Pegnitz geschlossen werden mussten. 1952 erhielt das Bad ein Betonbecken, in das wenige Jahre später eine Kautschukfarbe aufgetragen wurde, um die Illusion einer seegrün schimmernden Wasseroberfläche zu erzeugen. Lautstarke Proteste gab es allerdings bald wegen der Einschränkungen der Liegeflächen aufgrund der sandigen Bodenverhältnisse und so wurde 1954 eine weitere Liegeböschung parallel zur Günthersbühler Straße, der sogenannte Rolexhügel, ausgewiesen. An heißen Tagen sollte sogar eine eigens eingerichtete Fahrradwache den weit verbreiteten Zweiraddiebstahl verhindern.

Allerdings häuften sich bereits ab 1955 die Klagen über eine massive Überlastung der städtischen Badeeinrichtungen generell, auch des Naturgartenbads. So klagten die Zeitungen über einen restlos zusammen getretenen Rasen, verunreinigtes Wasser und eine Überbelegung der Garderoben und der Liegewiesen. Im Jahr 1956 schließlich führte dann ein tödlich endender Badeunfall zur massiven Kritik an den Betreibern des Bades.

Ende der 1960er Jahre gab der immer kleiner werdende Kneipp-Verein die Betriebsführung an die Stadt Nürnberg ab und erhielt im Gegenzug eine kleine Anlage im Westbad. Trotz seiner idyllischen Lage verlor das „Natsger“ in den siebziger Jahren viele Gäste an seine moderneren Konkurrenten. Erst mit dem Einbau eines neuen Edelstahlbeckens für rund drei Millionen DM gewann der Naturgarten wieder an Attraktivität. Das Wasser für die Füllung der Becken liefert ein zehn Meter tiefer Brunnen. Erfrischung ist auch bei größter Hitze garantiert, denn das Becken ist unbeheizt.

1995 verhinderten massive Proteste, angeführt vom Bürgerverein Nürnberg Jobst-Erlenstegen e.V., einen teilweisen Verkauf der Anlage zum Zwecke einer Wohnbebauung.

Seit einigen Jahren erfährt das Naturgartenbad eine weitere Nutzung: „Warum nicht mal Film schauen und schwimmen gehen verbinden?“ So fragten NürnbergBad und das Mobile Kino zum ersten Mal im Jahre 2006. Seitdem gibt es jeden Sommer an sechs Abenden Filme aus dem aktuellen Open-Air-Kinoprogramm auf einer schwimmenden Leinwand, unter dem Sternenhimmel bei lauschigem Sommerflair, zu genießen. Auch Nichtschwimmer sind dazu höchst willkommen.

So gehört die Anlage heute nicht nur den Schwimmbegeisterten, sie ist mit ihren einzigartigen Liegewiesen und ihrem stimmungsvollen Ambiente sommerlicher Treff und Naherholungsgebiet zugleich.


Literatur:
Geschichte Für Alle e.V. (Hg): Arbeiterwohnungen, Villen und Herrensitze, Nürnberg 1998
Prof. Dr. Hermann Rusam: Vom Sauweiher zum Naturgartenbad in Erlenstegen, in: Bürgerverein Jobst-Erlenstegen e.V., Heft 3, 2018


1 A. Ziegelroth, Das Luft- und Sonnenbad, Berlin 1892
2 StadtAN C7/VIII Nr. 5927
3 § 1 der Satzung, in: StadtAN C7/V Nr. 550